Kann ein Paketbriefkasten für die Entzerrung der Innenstadtlogistik sorgen? Wir haben vor einigen Wochen in Folge 33 über das Problem der Verkehrsüberlastung in den Innenstädten gesprochen. Dabei trägt die Logistik zu einem erheblichen Teil zu Staus bei. Mit Blick auf weiter steigende Versandzahlen im KEP-Bereich, d.h. den Kurier-, Express- und Paketdienstleistern, steht die Logistik dabei vor einer Herausforderung. Wir haben damals ein wenig darüber sinniert, aber keine direkte Lösung gefunden.
Auf diese Folge jedoch ist eine Hörerin aufmerksam geworden, und hat Kontakt zu Gunnar Anger von der ParcelLock GmbH hergestellt – danke, Friederike 🙂 Gunnar ist dort Geschäftsführer und befindet sich aktuell in Hamburg in einem Pilot-Projekt, wie die Innenstadtlogistik im KEP-Bereich vielleicht zukünftig entlastet werden könnte und der Kunde noch mehr Freude an der Paketlieferung hat. Heute im Interview: Gunnar Anger! Viel Spaß bei der Folge!
Für jeden von uns ist es vermutlich schon normal, dass am Tag mehrere KEP-Dienstleister vielleicht sogar häufiger an der Tür klingeln und Pakete abgeben. Ist man einmal nicht zu Hause oder das Büro nicht besetzt, klappt die Zustellung nicht immer. Dann ist eine längere Reise zum Paketshop des Anbieters die Folge. Statt also das Paket bequem zu Hause annehmen zu können und sich direkt am Inhalt zu erfreuen, besteht die Herausforderung, das Einsammeln der nicht zustellbaren Pakete gleichermaßen nach Öffnungszeiten und der eigenen freien Zeit zu koordinieren.
Generelle Herausforderung: Viele Anbieter ohne übergreifenden Paketbriefkasten
Dass es uns als Empfänger letztlich gleichgültig ist, ob DHL, DPD, Hermes oder wer auch immer vor der Tür steht, ist nachvollziehbar. Für die versendenden Unternehmen ergeben sich aus der Nutzung jeweils spezieller KEP-Dienstleisters allerdings wirtschaftliche Vorteile. Als Logistiker haben wir an der Stelle volles Verständnis dafür, sich den passenden Service aus dem Angebot zu suchen. Als Empfänger interessiert es uns schlichtweg nicht. Die Folge aus dieser Tatsache ist für den Kunden aber vielleicht sogar eine Reise zu verschiedenen Paketshops, um an die erwarteten Pakete zu kommen.
Laut einer statista-Studie entwickelt sich das Paketvolumen in der kommenden Jahren weiter sehr stark steigend. Während 2016 noch 3,16 Milliarden Paketsendungen in Deutschland verschickt wurden, waren es 2019 bereits 3,7 Milliarden. Eine weitere Studie gibt hier sogar eine Prognose bis in das Jahr 2023 ab, wohlgemerkt entstand diese vor der Coronapandemie. Demnach sollen 2023 bereits 4,4 Milliarden Sendung unterwegs sein.
Mehr Infografiken findet Ihr bei Statista
Oliver Wyman geht in seinem Beitrag “Das Ende der kostenlosen Haustür-Paketzustellung naht” im Jahr 2028 von rund 9 Milliarden KEP-Sendungen aus. Das entspricht einer Ver-2,5-fachung des Volumens von 2019 – schier unglaubliche Zahlen.
Doch was ist die Lösung für dieses Thema?
In Episode 33 sprachen wir verschiedene Ansätze an. Unter Städteplanern wird immer wieder ein der Stadt vorgelagertes “WhiteLabel”-Hub diskutiert, an dem die KEP-Dienstleister anzuliefern haben, wenn sie Sendungen an eine Adresse im Stadtgebiet zustellen möchten. Ein General-Dienstleister sorgt dann vom außerhalb der Stadt liegenden Hub aus für eine gebündelte Zustellung an die Ziel-Adresse. Dem einen oder anderen mögen sich die Fussnägel bei dem Gedanken daran hochbiegen – durchaus verständlich in dieser Rohfassung. Alternativ dazu kamen wir auf die Idee konsolidierte Transporte in verkehrsschwachen Zeiträumen beispielsweise per Straßenbahn an Verteilpunkte der Stadt zu organisieren. Frei nach dem Motto: Nachts rollt das Paket in die Stadt und wird dann dort optimiert am Folgetag zugestellt.
PWC kommt zu dem Fazit “ineffiziente Logistik”
Ganz spannend zu diesen Zahlen ist eine Studie der PWC aus dem Jahr 2017. Unter dem Titel “Aufbruch auf der letzten Meile – Neue Wege für die städtische Logistik” wird die Problemstellung herausgearbeitet und in der Folge versucht zu lösen. Dabei kommt die Studie zur aktuellen Lage (damals) zu folgendem Schluss:
“Der Güterverkehr macht 20 bis 30% des Stadtverkehrs aus, verursacht aber etwa 80% der innerstädtischen Staus in Stoßzeiten (Quelle). Außerdem sind viele Transporter, die in die Innenstadt fahren, nicht voll beladen, was die ohnehin schon kritische Situation an den Laderampen verschärft und zu zusätzlichen Staus führt. Das heutige System der städtischen Logistik ist alles, nur nicht effizient.”
Mit Blick auf die vorliegenden Zahlen und natürlich das tägliche Look-and-Feel in den Städten muss der Aussage vermutlich jeder Städter zustimmen. Und unserer Meinung nach ist das System “auf dem Land” nicht viel weiter, da teilweise lange Strecken zurück gelegt werden, die keinem Logistik Spaß machen können. Im besten Fall fahren die verschiedenen KEP-Dienstleister dabei in Kolone… Effizienz sieht anders aus.
Es ist also mit Blick auf das 2,5-fach Volumen in 7 Jahren und die Ineffizienzen im System dringend an der Zeit sich Gedanken zu machen. Corona war da bisher keine große Hilfe, sondern hat das Thema tendenziell eher verstärkt. Man muss an der Stelle die Zahlen sicherlich mit Vorsicht genießen, da die gesamte Innenstadtlogistik dabei berücksichtigt wird. Der KEP-Anteil entspricht logischerweise nicht dem Gesamtvolumen, wenngleich er vermutlich einen sehr großen Anteil daran ausmacht. Nichtsdestotrotz, die Problemstellung bleibt.
Paketstationen bieten viele Vorteile für den Empfänger
2016 wurde Gunnar Anger genau auf dieses Thema angesprochen und von einem Konzept überzeugt. Dieses sah vor an zentralen Stellen Collect-Stationen einzurichten. Dort sollten verschiedene KEP-Dienstleister die Pakete für die Kunden zentral anliefern und auf die “Locker” verteilen können. Die Vorteile dabei für die Kunden:
- ich kann auswählen, wohin ich die Bestellung geliefert haben möchte
- ich kann mir die Sendung unabhängig von Öffnungszeiten abholen
- verschiedene KEP-Dienstleister liefern für mich an die gleiche Stelle
- mich als Kunden kostet der Service nichts
Das Konzept ist nicht neu, aber dennoch sehr frisch gedacht. Die DHL Packstation kennt vermutlich jeder oder hat schon einmal davon gehört. Der Branchenriese Amazon testet auch bereits solche Paketbriefkasten, bekannt unter dem Namen “Amazon Locker”. Für den Kunden sind diese Systeme gut, aber sie sind auf einen Dienstleister beschränkt. Ein Online-Shop der per DPD verschickt, kann nicht in eine solche Station liefern. Zumindest heute noch nicht – so unser letzter Stand.
ParcelLock versucht dienstleisterneutral Systeme zu einem Paketbriefkasten Netzwerk zu verbinden
Parcellock entstand aus der Idee dem Empfänger einen abschließbaren Paketbriefkasten zur Verfügung zu stellen, in welchen alle KEP-Dienstleister ohne Anwesenheit des Empfängers sicher zustellen können. Zuerst für Einfamilienhäuser, anschließend für größere Wohneinheiten und jetzt für ganz Hamburg – naja, zumindest in der Vision. Die Idee dabei: Parcellock bietet einen Paketbriefkasten, in den dann die angeschlossenen KEP-Dienstleister hinein liefern können. Entstanden ist die Idee gemeinsam mit Hermes, DPD und GLS, offen zeigt sich das System in alle Richtungen.
In der Theorie ist die Idee super. Sie funktioniert aber nur dann in der endgültigen Optimierungsstufe, wenn alle KEP-Dienstleister “mitspielen”. Das hier teilweise wirtschaftliche und politische Interessen gegen sprechen können, ist klar.
Um das System skalierbar und noch flexibler für den Kunden zu machen, läuft derzeit ein Pilot zusammen mit der Deutschen Bahn, der Hamburger Hochbahn und Parcellock unter dem Decknamen “Hamburg Box“.
Je nach geplantem täglichen Weg kann sich der Empfänger für einen Paketbriefkasten im öffenltichen Raum entscheiden und die Sendung dort hin liefern lassen. App-gesteuert kann die Sendung dann abgeholt werden. Wie das funktioniert seht ihr hier in einem Unternehmensvideo der ParcelLock:
Alles verstanden? Nein? Dann empfehlen wir euch dringend in die Folge reinzuhören. Natürlich auch dann, wenn ihr alles verstanden habt 🙂 Leider ist der Pilot derzeit nur auf die Metropolregion Hamburg beschränkt. In der Episode verrät Gunnar spannende Insights, Hintergründe und auch einiges von sich als Person.
Wenn sich die Vision des “White-Label-Pakstationen-Netzes” entwickelt, woran er und die Mitarbeiter glauben, wird es das System vermutlich auch bald in weiteren Regionen geben.
Hier noch Gunnar’s persönlicher Buchtipp zur letzten Frage im Podcast: Onward: Wie Starbucks erfolgreich ums Überleben kämpfte, ohne seine Seele zu verlieren
Wir wünschen euch viel Spaß mit der Folge!
Andreas & Tobias
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1 thought on “Logistik4punktnull – 043 – Ein Paketbriefkasten als Lösung für die Innenstadtlogistik?”